Vorträge & Tagungen

Pulheim-Brauweiler, Paffendorf/Rheinland: Denkmalinventar für das rheinische Braunkohlengebiet vorgestellt

Mit diesen Worten beginnt der Landeskonservator des Rheinlandes, Prof. Dr. Udo Mainzer, sein Vorwort für das soeben erschienene Denkmalinventar zur rheinischen Braunkohlenindustrie. Er fährt fort:

„Als utopisch hätte man seinerzeit die Vorstellung empfunden, Bauten und technische Objekte des Braunkohlentagebaus könnten eines Tages selbst Denkmalrang erhalten. Anlagen und Bauwerke des Bergbaus galten allein schon wegen ihrer Größe als ungeliebte Störfaktoren in einer Landschaft, in der alle vorhandenen Landschaftselemente wie Hügel, Gewässer, Bäume, Kirchen, Dörfer durch diese Giganten des Bergbaus zu »Zwergspielzeugen« degradiert wurden. Aber auch die Landschaft erfuhr eine großflächige Veränderung: Es entstanden neue Straßen, Eisenbahntrassen, Halden, Steilhänge, wassergefüllte Restlöcher, Aufforstungen und landwirtschaftliche Flächen. Und für die umzusiedelnden Menschen wurden neuen Wohnorte, Dörfer und Weiler angelegt. (…)

Nach lebhaften Diskussionen bezieht sie (die Denkmalpflege) gegenwärtig mit ihrem erweiterten und veränderten Denkmalbegriff auch die großformatigen Anlagen der Industrie in ihre Erhaltungsbemühungen mit ein. Ausschlaggebend dafür ist deren Bedeutung für die Geschichte, ihr Dokumentationswert für das Leben und Arbeiten der Menschen in vergangenen Epochen. Ein solcher Bedeutungsinhalt kommt den materiellen Zeugnissen des Braunkohlenbergbaus im Rheinland zweifellos zu. Er steht seit seiner ersten nennenswerten Blüte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderte hier für die Geschichte von Millionen von Menschen, die in diesem Bergbausektor und in benachbarten Industriezweigen gearbeitet haben und die von deren Erträgen abhängig waren oder die einfach auch nur als Bewohner der Braunkohlenlandschaft durch den Bergbau geprägt wurden.

Die Denkmalpflege im Rheinland hat sich seit den 1990er Jahren intensiver mit den Zeugnissen des Braunkohlenbergbaus beschäftigt. Ausgelöst wurde dieses Interesse  wie so oft in der Geschichte der Denkmalpflege durch bevorstehende Abbrüche von Industriebauten, denen die Öffentlichkeit bereits damals ein wachsendes Interesse entgegenbrachte. Ursache dafür war ein grundlegender Strukturwandel, den der Braunkohlenbergbau in den seit den letzten 20 bis 30 Jahren durchmachte, vor allem bedingt durch veränderte Heizgewohnheiten, verbunden mit einem stetigen Rückgang der Brikettproduktion bei gleichzeitiger Zunahme der Stromproduktion aus Braunkohle. Von den ehemals etwa 40 Brikettfabriken im rheinischen Revier wird heute nur noch eine in Wachtberg in Frechen betrieben, zwei weitere stehen eingemottet als Reserve in Berrenrath und in Bergheim zur Verfügung, um einen wachsenden Bedarf an Briketts für private Feuerstellen decken zu können. Die Denkmalpflege musste mit Stilllegung der Fabriken Vereinigte Ville in Hürth 1975, Abbruch 1991, und 1996 Carl in Frechen Position beziehen zur  Erhaltungswürdigkeit dieser Anlagen. Sie entschied sich für die teilweise erreichbare Bewahrung der Fabrik Carl. Zugleich fühlte sie sich aufgerufen, nunmehr durch eine klassische Inventarisation einen Überblick über den Denkmalbestand des rheinischen Braunkohlenbergbaus zu erarbeiten.

Als Vorbild diente das 1998 veröffentlichte Inventar zum Steinkohlenbergbau, mit dem die rheinische Denkmalpflege damals bundesweit Neuland betreten hatte. Das Braunkohleninventar stellt jedoch hinsichtlich seiner Erarbeitung sowie in seiner  inhaltlichen Ausrichtung eine Innovation dar. Neu in inhaltlicher Hinsicht ist die Ausweitung der Darstellung auf Objektgruppen auch außerhalb des eigentlichen bergbaulichen Bereichs.“

Zu den herausragenden und aus Sicht des Denkmalamtes unbedingt zu erhaltenden Objekten gehören:

Der Bagger 255, Tagebau Inden

Ursprünglich für den Tagebau
Frechen gebaut und seit 1955 im Dienst, wurde der Bagger später in den
westlicher gelegenen Tagebau Inden verbracht. Er bildet den Prototyp
für alle späteren Maschinen dieser Art. Vorgeschlagen wird, den Bagger
nach der absehbaren Erschöpfung des Indener Tagebaus in einem dortigen
„Restloch“ als technisches Denkmal in authentischer Umgebung zu
erhalten.

 

Bagger288.450.JPG(Bagger 288 im Tagebau Garzweiler)

Das Goldenberg-Werk

Während die erste Großkraftwerksanlage „auf der Braunkohle“, das Kraftwerk Fortuna, heute völlig verschwunden ist, sind vom wenig später entstandenen „Goldenbergwerk“ (Baubeginn 1913) trotz massiver Umbauten und Zerstörungen noch immer wichtige Teile (Architekt: Alfred Fischer) sowie die Kraftwerkstechnik der frühen 1950er Jahre erhalten; auch die charakteristische, damals neuartige Gesamtdisposition ist weiterhin erkennbar.

Die Brikettfabrik Fortuna Nord, Bergheim

Im Rahmen der
Autarkiebestrebungen während des „Dritten Reiches“ entstand die
Brikettfabrik „Fortuna Nord“. Sie dient zwar heute der
Weiterverarbeitung von Braunkohle zu industriellen Zwecken; die Ende
der 1930er Jahre von der Zeitzer Eisengiesserei gelieferten
Brikettpressen und die übrigen technischen Einrichtungen der
Entstehungszeit sind jedoch weitgehend erhalten.

Architektonisch
bildet die von dem Berliner Industriearchitekten Werner Issel „in einem
Guß“ entworfene Anlage ein wichtiges Zeugnis der Industriearchitektur
ihrer Zeit. Der Wechsel von den begleitenden Verwaltungs- und
Sozialbauten zum monumental aufragenden Ensemble der eigentlichen
Fabrik steht in der Tradition des modernen Industriebaus.

 

Fortuna.450.JPG

Das Kraftwerk Frimmersdorf II, Grevenbroich

Als erstes
großes Kraftwerk im Blocksystem verkörpert das Kraftwerk die schnelle
Entwicklung in der "Wirtschaftswunderzeit". Während von dem Vorgänger,
der in den 1920er Jahren von der AEG und dem Industriearchitekten
Werner Issel errichteten Anlage Frimmersdorf I nur kleinere Bauteile
erhalten sind, stellt das 1954 begonnene und – wie vorgesehen –
mehrfach erweiterte  Kraftwerk Frimmersdorf II eine gestalterische und
technische Gesamtleistung von beeindruckender und auch bewusst
inszenierter Erscheinung dar. Die Gestaltung lag in Händen von Fritz
Börnke, der gemeinsam mit der firmeneigenen Bauabteilung plante.

Frimm.450.JPG

Die Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn (KFBE)

Die 1891
eingerichtete und schrittweise ausgebaute Bahn bildet bis heute das
Rückgrat des städtischen Kölner Schienen-Güterverkehrs. Sie verband den
Wirtschaftsraum Frechen-Brühl mit seinen Braunkohlegruben,
Brikettfabriken, Quarzsandvorkommen und Gebrauchskeramikwerken mit den
Rheinhäfen in Godorf/Wessling und Niehl. Mit ingesamt 170
Anschlussgleisen bediente und verknüpfte sie fast alle bedeutenden
Industriebetriebe der Region.

KFBEF.450.JPG

Die Trasse sowie ausgewählte Bauten entlang des Schienenstranges wurden nach längeren Verhandlungen und einer umfassenden Bestandsaufnahme im März 2008 in die Denkmalliste aufgenommen.

Der Verein „Köln-Bonner Eisenbahnfreunde e.V.“ betreibt, ausgehend von einem Museum in Brühl-Vochem, insgesamt vier historische Schienenfahrzeuge und bietet so eine Grundlage für die industrietouristische Erschließung.

Autoren und Förderer

Landeskonservator Prof. Dr. Udo Mainzer geht im Vorwort des Inventars auch auf Genese und Organisation des Inventarwerkes ein:

„2001 hatte das Rheinische Amt für Denkmalpflege eine Tagung unter dem Titel »Cöllnisch Umbra. Das rheinische Braunkohlenrevier als Denkmallandschaft« durchgeführt. Damals war der Begriff Denkmallandschaft lediglich ein Arbeitstitel, der mit dem nun vorliegenden Werk mit Inhalt und Leben gefüllt werden soll.  

Ein neuer Weg wurde ebenfalls bei der Erstellung durch zwei externe Bearbeiter beschritten,  der Kunsthistorikerin Dr. Barbara Rinn und dem Technikhistoriker Dr. Norbert Gilson, während die Projektleitung bei Herrn Dr.-Ing. habil. Walter Buschmann im Rheinischen Amt für Denkmalpflege lag. Einbezogen wurden dabei aufgearbeitete Texte und Fotos aus der regulären Inventarisationsarbeit des Amtes.

Die umfängliche  Inventarisation wäre nicht möglich gewesen ohne die Kooperation mit dem Bergwerksunternehmen RWE Power, wobei sich Frau Felicia Sigglow M.A. und Herr Manfred Coenen vom dortigen Zentralarchiv engagiert eingebracht haben. Ihnen wie auch den Stadt- und Kreisarchiven im Revier, dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, verschiedenen städtischen Ämtern und mehreren in der Braunkohlengeschichte engagierten Privatpersonen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Die Hauptlast bei der Finanzierung des Forschungsprojektes lag beim Ministerium für Bauen und Verkehr NRW. Ergänzendende Mittel brachten die Gemeinde Jüchen, die Stadt Zülpich, der Rhein-Erft-Kreis, der Rhein-Kreis Neuss und der Kreis Düren auf.  Für die organisatorische Abwicklung ist Herrn Heinz Kunze in der Gemeinde Jüchen zu danken. Der Druck des Inventars wurde schließlich ermöglicht durch das Ministerium für Bauen und Verkehr NRW, namentlich Frau Ministerialrätin Dr. Birgitta Ringbeck, die bereits genannten Gemeinden und Kreise, sowie RWE Power. Dieses Unternehmen, vertreten durch Herrn Alois Herbst und Herrn Guido Steffen, setzte damit ein hoffnungsvolles Zeichen für eine auch in der Zukunft guten Kooperation zwischen ihm und der rheinischen Denkmalpflege.“

Auf der Pressekonferenz zur Vorstellung im Informationszentrum Schloss Paffendorf äußerte sich Frau Dr. Ringbeck vom NRW-Ministerum für Bauen und Verkehr sehr zufrieden über die immense Leistung, die die Autoren mit ihren Publikation, der „Spitze eines Eisberges“von Material und Erkenntnissen, erbracht haben, und dankte für die gute Zusammenarbeit mit RWE Power (ehemals „Rheinbraun“). Der Landrat des Erftkreises, Stumpp, nannte das Inventar „ein ganz wertvolles Grundlagenwerk“ für die Geschichte und Weiterentwicklung der Region. Johannes Nordmann vom Rhein-Kreis Neuss verwies auf die „touristischen Visionen“, die sich für die ganze Region mit dem Projekt verbinden. Wie mehrere Teilnehmer betonten, sei für sie Verständnis und Selbstdarstellung der Region ohne Einbeziehung der historischen Schichten und Zeugnisse des Braunkohlenbergbaus weder denkbar noch sinnvoll.

Angaben zum Buch:

Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, in Verbindung mit dem Landschaftsverband Rheinland (Hg.):
Braunkohlenbergbau im Rheinland. Die Bau- und Kunstdenkmäler des Rheinlandes

(Die Bau- und Kunstdenkmäler von Nordrhein-Westfalen: I. Rheinland)
Bearbeitet von Walter Buschmann, Norbert Gilson, Barbara Rinn
754 Seiten mit 602, teils farb. Abb.
ISBN-10: 3-88462-269-2  |  ISBN-13: 978-3-88462-269-8
Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms
¤ 58.00  SFR 94.00

Braunkohle_Cover.450.jpg

Eine gesonderte Rezension folgt.

Ergänzend:
Cöllnisch Umbra. Das rheinische Braunkohlenrevier als Denkmallandschaft (Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 57)
Petersberg (Michael Imhof) 2002, ¤ 9,95 (statt ¤ 19,80)
gesehen bei: Bouvier-Büchermarkt, Bonn

Hinweis in eigener Sache:
Für das Jahr 2010 plant die industrie-kultur ein Heft mit Schwerpunktthema „Braunkohle“. Dafür sind – wie jederzeit für den Teil "Regionalmeldungen /Aktuelles“ – Beiträge immer willkommen; bitte an die Redaktion wenden!

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